Stress am Arbeitsplatz

Stress am Arbeitsplatz

Neun von zehn Deutschen leiden unter Stress bei der Arbeit und gerade junge Arbeitnehmer kommen häufig an ihre Belastungsgrenze. Wir haben uns mit der Wissenschaftsjournalistin und Autorin Carola Kleinschmidt unterhalten: Was stresst uns und was können Unternehmen und wir selbst gegen Stress am Arbeitsplatz tun?
21
März
2017

WAS ES ÜBER STRESS BEI DER ARBEIT ZU WISSEN GIBT

Carola Kleinschmidt, die dem Thema Stress auf zahlreichen Vorträgen und in Sachbüchern nachgeht, erklärt uns zunächst, welche Arten von Stress unterschieden werden und was Stress bei der Arbeit auslöst.

ARTEN VON STRESS: GIBT ES „POSITIVEN“ UND „NEGATIVEN“ STRESS?

„Positiver Stress“ – „negativer Stress“: Mit diesen Schlagworten wurden lange Zeit die unterschiedlich empfundenen Arten von Stress beschrieben. Doch Carola Kleinschmidt weist darauf hin, dass die Medizin heute nicht mehr zwischen positivem und negativem Stress unterscheidet: „Denn die Stressreaktion ist immer gleich: Körper und Geist aktivieren sich und sind bereit zu handeln, ein Problem zu lösen.“

Wie wir diese Aktivierung empfinden, hängt davon ab, wie wir die Herausforderung wahrnehmen: „Positiv empfinden wir diese Aktivierung, wenn wir das Gefühl haben: Wenn ich mich ordentlich anstrenge, dann kann ich das schaffen. Yeah! Deshalb gebe ich jetzt alles“, erklärt Kleinschmidt. „Solange es ziemlich sicher ist, dass wir unser Ziel erreichen, ist der Stress erstmal positiv.“

Anders ist es, wenn Unsicherheit dazukommt, ob unsere Kräfte oder Möglichkeiten reichen, um die Herausforderung zu meistern: „Wenn ungeahnte Hindernisse auftreten, das Budget gekürzt wird oder das Lob ausbleibt. Dann fühlt es sich plötzlich gar nicht mehr toll und beschwingt, sondern nur noch anstrengend und stressig an.“

WAS STRESS AUSLÖSEN KANN: TYPISCHE STRESSOREN AM ARBEITSPLATZ

Carola Kleinschmidt benennt zwei wichtige Umstände, die in der heutigen Arbeitswelt für Stress sorgen. Das ist zum einen die Art, wie wir heute arbeiten: „In allen Unternehmen hat das Tempo enorm zugelegt. Der Leistungsdruck ist hoch. Ständig wird umstrukturiert. Das alles bringt Druck mit sich.“

Zum anderen kann auch unsere eigene, innere Einstellung zu unserer Arbeit Stress erzeugen: „Arbeit ist in der Arbeitsgesellschaft enorm wichtig. Die Angst, keine Arbeit zu haben oder seine Arbeit nicht gut zu machen, ist enorm. Dadurch ist auch der innere Druck bei vielen Menschen sehr hoch. Moderne Managementformen, die Mitarbeitern maximales Engagement abfordern, bringen hier großes Stresspotenzial.“

Kleinschmidt räumt ein, dass nicht alle diesen Stress als unangenehm empfänden: „Es ist ja auch toll, wenn man freie Hand in einem Projekt hat, vieles selbst steuern und sich einbringen kann. Allerdings liegt dann halt auch viel Druck auf einem…“

Und dieser Druck kann auf Dauer zermürben, wenn wir nicht lernen, mit Stress richtig umzugehen.

UNTERSCHIEDLICHE STRESSTYPEN

Um den unterschiedlichen Umgang von Menschen mit Stresssituationen zu bewerten, gibt es vielerlei Einteilungen in sogenannte Stresstypen. „Eine davon finde ich persönlich sehr erhellend“, so Kleinschmidt. „Sie zeigt Typen, die dazu neigen, dauerhaften Stress zu erleben, einfach, weil die Zeiten des Abschaltens und der Regeneration wegfallen.“

Unterschieden wird dabei zwischen drei Typen:

  • Menschen, die sich an einen Stressor nicht gewöhnen können und sich jedes Mal aufs Neue aufregen, beispielsweise, wenn Kunde X eine bestimmte Frage hat oder Bemerkung macht.
  • Menschen, die sich nur schwer wieder abregen können und auch noch abends vor dem Fernseher über den Konflikt am Vormittag nachgrübeln.
  • Menschen, die den Kick des Stresses lieben und sich in gewisser Weise sehenden Auges immer stärker unter Druck setzen. Meist merken sie dabei nicht, wann die Schwelle der Belastbarkeit überschritten ist.
zwei Bücher im Frontcover

DEN JOB WECHSELN? NICHT IMMER DIE BESTE LÖSUNG

Wer sehr erschöpft und gestresst vom Job ist, entwickelt oft den Wunsch, zu kündigen und sich eine andere, bessere Arbeit zu suchen. Doch Carola Kleinschmidt mahnt zur Vorsicht: „Die allermeisten Menschen, die ein Burnout erleben, stellen in der Auszeit oder in der Therapie fest, dass es keine gute Lösung wäre, sein ganzes Leben hinzuschmeißen.“

Besser sei es, sich zunächst um sich selbst zu kümmern. Sobald Betroffene wieder zu Kräften kommen, stellen sie der Expertin zufolge meist fest: „Der Job, der Kollege oder der Chef sind vielleicht Trigger für mein Stressgefühl. Aber ich selbst habe mit meinen typischen Reaktionsmustern sehr viel damit zu tun, WIE SEHR gestresst ich bin.“

Anstatt sofort alles hinzuschmeißen, sollten Stress- oder Burnout-Geplagte in sich gehen und nach den Ursachen forschen: „Dafür kann man sich in Beratung begeben, mit einem Coach arbeiten, eine Auszeit nehmen oder sich auch krankschreiben lassen.

Wenn man dann wieder klarer sieht und bei Kräften ist, dann kann man in Ruhe nachdenken, ob man noch in seinem Job arbeiten möchte. Wenn nicht: Dann wechselt man – und bewirbt sich als Person mit Kraft und Energie in einer anderen Firma oder auf eine andere Position. (Denn eine Bewerbung im total erschöpften Zustand macht ja keinen Sinn).“

Kleinschmidt weist auch darauf hin, dass letztlich nur wenige Prozent der Personen, die eine Stresskrise erlebten, gleich das Unternehmen oder sogar den Beruf wechseln. Häufig trügen die Medien zu einem verfremdeten Bild bei, wenn genau von diesen Personen berichtet wird: der Manager, der nun als Almwirt arbeite oder die Erzieherin, die sich zum Coach entwickelt habe. „Das sind einfach die schöneren Geschichten, aber nicht unbedingt die Realität.“

8 TIPPS GEGEN STRESS FÜR ARBEITNEHMER

Damit es gar nicht erst bis zum Burnout kommt, sollten wir rechtzeitig auf Anzeichen von zu großem und dauerhaftem Stress bei der Arbeit achten. Ob wir gestresst sind, können wir laut Kleinschmidt selbst gut messen: „Habe ich noch Energie für andere Dinge im Leben außer der Arbeit oder meinen Verpflichtungen? Gibt es noch Spaß, Freunde, einen freien Kopf? Persönliche Interessen, Sozialleben und Zeiten der Ruhe fliegen als erstes über Bord, wenn unser Leben vom Stress bestimmt ist.“

Auch psychosomatische Beschwerden wie Schlafprobleme, Schmerzen oder Energielosigkeit können Warnzeichen dafür sein, dass wir uns in einem tiefen Erschöpfungszustand befinden.

Was also tun, wenn wir bemerken, dass wir dauerhaft gestresst sind und darunter leiden?

Carola Kleinschmidt hat uns acht Tipps genannt, die helfen, Stress zu bewältigen oder gar nicht erst aufkommen zu lassen:

1. DEN EIGENEN RHYTHMUS BERÜCKSICHTIGEN

„Immer nur Vollgas, das kann niemand auf Dauer leisten. Den eigenen Rhythmus zu kennen, ist deshalb hilfreich“: Brauchst Du nach einem Vormittag in Meetings eine Mittagspause in Ruhe, vielleicht sogar mit einem Spaziergang um den Block? Oder erholst Du dich gerade dann, wenn Du mit den Kollegen zusammensitzst?

Mach dir über Deinen eigenen Rhythmus Gedanken. Etwa, ob Du morgens die beste Leistung erbringst und dann auch die wichtigste Aufgabe des Tages erledigen solltest. Oder ob Du jemand bist, der erst gegen 16 Uhr sein Leistungshoch hat. „Solche Feinheiten machen viel aus“, so Kleinschmidt.

2. REGELMÄSSIG PAUSEN MACHE

„Hilfreich ist ganz generell: Öfter Pausen machen – auch kurze – und dabei wirklich aus dem Arbeitsprozess aussteigen.“: Mach bewusst Pausen, geh ein paar Schritte und denk in Deiner Mittagspause über etwas Anderes als die Arbeit nach. Ein paar Fitnessübungen im Büro können ebenso für Entspannung sorgen. Auch der Wechsel von anstrengenden und weniger anstrengenden Arbeiten hilft Dir, den Stresspegel zu senken.

Mann entspannt während er nach draußen schaut

3. DIE INNERE EINSTELLUNG ÄNDERN: RAUS AUS DER OPFERROLLE

Ändere Deine eigene Einstellung zum Stress. Gewöhn Dir zum Beispiel an, erst einmal innerlich einen Schritt zurückzutreten, wenn Dir eine Situation begegnet, die Dich stresst: Der Chef kommt ins Zimmer und legt Dir etwas auf den Tisch. Normalerweise würdest Du vielleicht aufgeregt und hektisch denken: Oh nein, schon wieder Zusatzarbeit!

Aber, so Carola Kleinschmidt, Du kannst eben auch lernen, dich „nicht gleich in den Stress zu werfen, sondern die Sache eher ‚nüchtern‘ anzuschauen: Was will der Chef? Was will ich? Was kann ich heute noch leisten? Was sage ich, damit es so läuft, wie ich das möchte? Sobald man aus der ‚Opferrolle‘ aussteigt, sinkt der Stresspegel. Aber: Das muss man üben.“

4. STRESSSITUATIONEN GEZIELT VERMEIDEN

Wenn Du dich selbst gut kennst, kannst Du manche stressige Situationen ganz bewusst meiden. Zum Beispiel wird der Stresspegel auf Geschäftsreisen sinken, wenn Du dir angewöhnst, pünktlicher mit den Vorbereitungen zu beginnen und dich bei Zeiten auf den Weg zu machen.“

5. MIT KLEINEN RITUALEN ABENDS BESSER ABSCHALTEN

Die Fähigkeit, abends abzuschalten, ist ebenfalls sehr wichtig. Kleine Rituale helfen dabei: Trink auf dem Weg nach Hause einen Espresso in der Bar. Mach nach der Arbeit Sport. Stell zuhause Deine Tasche mit den Arbeitsunterlagen außer Sichtweite. „Wer für einen guten Rhythmus sorgt und dadurch weniger gestresst ist, wird auch mit einem klareren Blick auf seine Arbeit schauen – und so häufig neue Stress-Situationen vermeiden können.“

6. PERSÖNLICHE TRIGGER REFLEKTIEREN

Wirf einen Blick hinter die eigene Fassade und frag dich, was genau Dich in einer bestimmten Position angreift: Fühlst Du dich gedrängt? Gemaßregelt? Angegriffen? Unfähig? Nicht gehört? „Wenn ich meine persönlichen Trigger kenne, kann ich auch lernen, die Situation anders, weniger stressig wahrzunehmen.“

7. SICH BEDENKZEIT NEHMEN

„Manche Menschen reagieren extrem auf Zeitdruck – und fangen (im übertragenen Sinne) an zu rennen. Andere springen sehr an, wenn jemand gesucht wird, der Verantwortung übernimmt.

Da rufen sie sofort ‚hier‘ und halsen sich so ständig neue Projekte auf.“ Egal, was auf Dich zutrifft, die Stress-Expertin rät: Nimm dir Zeit und entscheide bewusst, ob Du die Aufgabe sofort übernehmen oder ob es nicht eine andere, weniger stressige Lösung gibt.

8. AUCH MAL „NEIN“ SAGEN

Auch wenn Dir ein gutes Miteinander extrem wichtig ist: Spring nicht sofort auf, sobald es Konflikte gibt oder jemand um Hilfe bittet. Überleg zunächst in Ruhe, ob Du in diesem Moment wirklich die helfende Seele sein oder lieber Deine eigene Arbeit ordentlich, aber ohne großen Stress erledigen möchtest.

BEWUSST MIT DEM THEMA STRESS UMGEHEN

Carola Kleinschmidt

Die Diplombiologin Carola Kleinschmidt beschäftigt sich als Journalistin, Speaker und Trainerin insbesondere mit dem Thema Gesundheit. Neben dem Bestseller „Bevor der Job krank macht“ publizierte sie weitere Sachbücher rund um die moderne Arbeitswelt, zuletzt „Burnout – und dann?“. Im Online-Magazin Die Ratgeber erscheint allwöchentlich ihre Kolumne zu diesem Thema.

Mehr über Carola Kleinschmidt erfährst Du auf ihrer Website carolakleinschmidt.de.

Carola Kleinschmidts Tipps zeigen: Wer sich ganz bewusst mit dem Thema Stress und seinen eigenen Bedürfnissen auseinandersetzt, hat bereits einen wichtigen Schritt gegen Stress bei der Arbeit unternommen.

Wir danken Frau Kleinschmidt herzlich für das aufschlussreiche Interview!

Wenn Du dich für Themen rund um eine gesunde Arbeitswelt interessierst, lies auch unsere Beiträge zu den Themen Zufriedenheit im Job und Betriebliches Gesundheitsmanagement.

 

Bildnachweis: Bild 1: Pexels, Bild 2: © iStock / Maridav, Bild 3: © iStock / g-stockstudio, Bild 4: © Carola Kleinschmidt, Bild 5: © iStock / Delpixart, Bild 6: © iStock / MariaDubova, Bild 7: © iStock / DragonImages, Bild 8: © iStock / lzf, Bild 9: © Beata Lange

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