Wer kennt das nicht: In einer wichtigen Diskussion ist unser Gegenüber nicht bereit auf uns zuzugehen oder scheint unsere Bedürfnisse nicht zu verstehen. Wir werden wütend, sind frustriert und die Situation scheint verfahren. Dass das keine optimalen Voraussetzungen für ein zufriedenstellendes Ergebnis sind, ist naheliegend. Was wir alle ahnen, bestätigt uns die Uni Harvard aber Schwarz auf Weiß:
Laut dem Program on Negotiation der Harvard Law School können Gefühle unser Urteilsvermögen bei Verhandlungen deutlich beeinträchtigen und uns dazu verleiten, uns mit einem schlechten Verhandlungsergebnis zufrieden zu geben. Was also tun, um Gefühlen in wichtigen Verhandlungen nicht die Oberhand zu überlassen und sachorientiert zu einer Lösung zu kommen, die möglicherweise sogar beide Parteien zufriedenstellt? Das Stichwort lautet Harvard-Konzept.
Das Harvard-Konzept ist eine Methode, die darauf zielt, sachgerecht zu verhandeln. Ziel der Verhandlungstechnik ist es, Konfliktsituationen mit einer konstruktiven Herangehensweise zu lösen und dabei im besten Fall eine Win-Win-Lösung zu erwirken. Die Methode gilt als eines der erfolgreichsten und bekanntesten Methoden für zufriedenstellende Verhandlungen.
Das Harvard-Konzept wurde von den US-amerikanischen Rechtswissenschaftlern Roger Fisher und William L. Ury an der University of Harvard entwickelt. Ihre Ergebnisse haben sie in ihrem gemeinsamen Buch festgehalten (engl. Getting to Yes: Negotiating Agreement Without Getting In, dt. Das Harvard-Konzept). Später holten sie für die Neuauflage auch ihren Kollegen Bruce Patton mit ins Boot. Grundsätzlich soll das Buch Anwälte dazu befähigen, Win-Win-Lösungen bei rechtlichen Konflikten zu finden oder diese zu schlichten.
Aufgrund ihrer sachorientierten Ausrichtung eignet sich das Harvard-Konzept nicht nur als Verhandlungsmethode für Interessen im Wirtschaftskontext. Auch für Konfliktlösungen im Bereich der Mediation ist sie bestens geeignet. Denn anders als gängige Verhandlungstechniken strebt sie nicht an, die bestmögliche Lösung für eine Konfliktpartei zu finden, sondern ein für beide Seiten faires und optimales Ergebnis. Das heißt: Beide Seiten müssen gemeinsam mögliche Konfliktlösungen erarbeiten.
Ein besonders bekanntes Beispiel für den Erfolg des Harvard-Konzepts ist etwa das Camp-David-Abkommen aus dem Jahr 1978, das zur Unterzeichnung des Israelisch-Ägyptischen Friedensvertrags führte und so zur Friedenssicherung im Nahen Osten beigetragen hat.
Das Harvard-Konzept folgt grundsätzlich dem Ziel, Verhandlungspositionen einander anzunähern. Dabei sollen die Verhandler versuchen, das jeweilige Gegenüber ernst zu nehmen und es nicht als Verhandlungsgegner, sondern als Verhandlungspartner behandeln. Der Ansatz beruht auf vier wichtigen Grundsätzen, die Deine Verhandlung zu einem Rundum-Erfolg führen können. Welche das sind, erklären wir Dir im Folgenden.
1. Behandelt Menschen und Probleme getrennt voneinander.
Genauso, wie Du selbst Interessen und Probleme in eine Verhandlung mitbringst, trifft das auch auf Dein Gegenüber zu. Zugegeben: In einer wichtigen Verhandlung, bei der Du auf Interessen triffst, die sich grundlegend von Deinen eigenen unterscheiden, kann das schwer fallen. Das Problem von der Seite Deines Gegenübers aus zu betrachten, ist aber der erste Schritt auf dem Weg zu einer Win-Win-Lösung. Denn persönliche Befindlichkeiten und irrationale Entscheidungen stehen zufriedenstellenden Verhandlungslösungen häufig im Weg. Deshalb sollst Du den Menschen erst einmal ausklammern, Dein Fokus liegt auf dem sachlich zu betrachtenden Problem. Versuche deshalb, die Interessen Deines Gesprächspartners so genau wie möglich zu erfassen. Gefühle und Wertungen sollten dabei erst einmal keine Rolle spielen. Entscheidend ist ein grundlegendes und rationales Verständnis für die vorliegenden Bedürfnisse und Wahrnehmungen Deines Verhandlungspartners.
Dein Kollege überzieht wiederholt Fristen. Anstatt ihm Vorwürfe zu machen, solltest Du ihm sachlich erklären, welche Probleme für Dich entstehen, etwa wie folgt: „Bislang hast Du leider die letzten drei Fristen überzogen. Dadurch haben sich Probleme mit unserem Kunden ergeben, weil ich ihm fest zugesagt hatte, dass wir die Frist einhalten. Beim nächsten Mal könnte es sein, dass der Kunde wegen Unzufriedenheit abspringt. Wie ist es dazu gekommen, dass Du die Fristen nicht einhalten konntest, und wie können wir das in Zukunft besser lösen?“
Üblicherweise beginnen wir Verhandlungen, indem wir unsere Verhandlungsposition erläutern und damit Grenzen markieren. Wenn Du Dich bewusst unkooperativ zeigst, setzt Du die Verhandlung dem Risiko einer Sackgasse aus. Denn wer den Eindruck erweckt, ein Hardliner zu sein, wird bei seinem Gegenüber nur auf wenig Verständnis stoßen. Was ist also die Alternative?
Sinnvoller ist es, den Fokus von der eigenen Verhandlungsposition auf die zugrundeliegenden Interessen zu verlagern. Verhandelst Du etwa mit einem besonders unnachgiebigen Gesprächspartner, kann es hilfreich sein, erst einmal Fragen zu stellen wie zum Beispiel „Warum ist das (nicht) wichtig?“, kannst Du die Motivation hinter der Aussage verstehen.
Teilst Du ihm Deine eigenen Motivationen und Antriebe mit, könnt Ihr Euch gemeinsam an den eigentlichen Dreh- und Angelpunkten Eurer Bedürfnisse orientieren und möglicherweise sogar auf neue Ideen kommen, die in Euer beider Interesse sind.
Du möchtest Deinem Chef deutlich machen, dass Deine Abteilung Fortbildungstage benötigt. In diesem Fall solltest Du sie nicht einfach einfordern, sondern Deinem Chef deutlich machen, warum es sich um eine sinnvolle Maßnahme handelt. Du solltest demnach deutlich machen, dass es auch im Interesse der Firma ist, wenn Arbeitnehmer sich fortbilden, weil Arbeitsprozesse zum Beispiel effizienter ablaufen, die Firma weniger auf externe Dienstleister angewiesen ist und sich für Mitarbeiter neue Perspektiven auftun, die sich positiv auf die Arbeitshaltung und Motivation auswirken. Anschließend geht Ihr die Gründe durch, weshalb Fortbildungen nicht sinnvoll sein könnten.
Diesem Grundsatz zufolge erarbeiten beide Parteien gemeinsam mehrere potenzielle Möglichkeiten, die als Lösungen für beide Seiten infrage kommen könnten. Dabei sind die folgenden Punkte entscheidend:
Du möchtest mehr Anerkennung und persönlichen Profit für Deine beruflichen Leistungen erhalten, deshalb möchtest Du mit Deinem Vorgesetzten eine Gehaltserhöhung diskutieren. Nachdem Du Deine Gründe sachlich vorgelegt hast, zeigt sich Dein Vorgesetzter einsichtig, kann Dir aber wegen finanzieller Engpässe kein höheres Gehalt bieten. Deshalb schlägt er Dir im Gegenzug vor, dass Du anstelle einer zusätzlichen Vergütung alternativ auch Deinen wöchentlichen Stundensoll reduzieren kannst. Nachdem Du Dir überlegst, welche Vorteile das für Dich bringen könnte, kommst Du zu dem Ergebnis, dass das eine akzeptable Lösung für Dich ist.
Kern des Harvard-Konzepts ist es, zu einem für beide Seiten fairen Ergebnis zu gelangen. Aber wer bestimmt, was in Eurem Fall fair ist? Es ist wichtig, dass Du und Dein Verhandlungspartner Euch darauf einigt, sachliche oder neutrale Urteilskriterien heranzuziehen, um eine Lösung hinsichtlich ihrer Fairness zu bewerten. Diese Kriterien dürfen nicht der Willkür ausgesetzt sein und müssen unabhängig von subjektiven Interessen sein. Das können zum Beispiel wissenschaftliche Gutachten, externe Drittmeinungen von Unbeteiligten oder rechtliche Vorschriften sein.
Du befindest Dich in einem Bewerbungsgespräch und möchtest Dein potenzielles Gehalt verhandeln. Während der Vorbereitung hast Du Benchmarks als branchenübliche Vergütungsangaben eingeholt und gibst diese als Referenz für Deinen Gehaltsvorschlag an.
Wichtig dabei: Überlege immer genau, was die Ziele beider Seiten sind und welche objektiven Kriterien hierbei aussagekräftig sind. Zudem muss die Umsetzung der Einigung auch praktisch umsetzbar sein. Ist das nicht gegeben, müsst Ihr eine andere Lösung erarbeiten.
Das Harvard-Konzept bietet als Verhandlungstechnik viele Vorteile. Trotzdem solltest Du einige Punkte beachten, wenn Du diese Verhandlungstechnik anwenden möchtest.
Das ist wichtig, damit Du weißt, ob ein Verhandeln nach dem Harvard-Prinzip sinnvoll ist und Du gegebenenfalls auf die eigentliche Verhandlung gut vorbereitet bist.
Wichtige Fragen sind hierbei:
Im Idealfall können beide Gesprächspartner eine Lösung finden, die alle zufriedenstellt, das muss aber nicht der Fall sein. Denn genauso kann es sein, dass die Verhandlung scheitert. Für diesen Fall solltest Du Dir eine sogenannte BATNA (Abkürzung für Best Alternative To a Negotiated Agreement) überlegen: Dabei handelt es sich um die beste Alternativlösung für den Fall, dass die Verhandlung scheitert.
Auf das Erarbeiten einer BATNA solltest Du aufgrund der folgenden Vorteile nicht verzichten:
Um das zu vermeiden, solltest Du auf die folgenden Punkte bewusst verzichten:
Auch das Harvard-Konzept kann an seine Grenzen stoßen, das ist zum Beispiel der Fall, wenn
Neben dem Harvard-Konzept gibt es eine ganze Reihe an weiteren Verhandlungstechniken, die für Dich infrage kommen könnten, wie zum Beispiel Pendelschlichtung, Ankereffekte oder Reframing. Was es damit auf sich hat, erfährst Du in unserem Artikel zu Verhandlungstechniken.
Als Arbeitnehmer kannst du das Harvard-Konzept bestens anwenden, um Gehälter oder Arbeitskonditionen zu verhandeln. Solltest Du jedoch aktuell auf der Suche nach einer neuen beruflichen Herausforderung sein, bietet Dir unsere Jobbörse jede Menge offene Stellenangebote für die verschiedensten Berufe: Vom Marketing, über Sales bis hin zum Engineering. Wir freuen uns auf Deinen Besuch!
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